Ein Besuch als Appell
Der Besuch von Papst Franziskus in Genf stand unter dem Zeichen der Ökumene. Die Bilanz von Martin Hirzel, Ökumenebeauftragter der Reformierten.
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Papst Franziskus
Als ökumenischer Pilgerweg war der Besuchstag des Papstes beim «Ökumenischen Rat der Kirchen» (ÖRK) gestaltet. Und als Pilger kam auch das müde und gebrechlich wirkende
Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche nach Genf. Er
wolle persönlich an den Feierlichkeiten der 70-Jahr-Feier des ÖRK teilnehmen, «auch um
den Einsatz der katholischen Kirche für die ökumenische
Sache zu bekräftigen und zur Zusammenarbeit mit den Mitgliedskirchen und den
ökumenischen Partnern zu ermutigen».
Dies ist ein starkes Zeichen auch für die
«Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in der Schweiz» (AGCK.CH), die als assoziiertes
Mitglied sozusagen ein ÖRK auf nationaler Ebene ist. Dies
allerdings mit dem grossen Unterschied, dass die römisch-katholische Kirche Vollmitglied
der AGCK.CH ist.
Die AGCK.CH lebt Ökumene vielfältig in Gottesdiensten und
gemeinsamen Projekten und will ihre Mitgliedkirchen in ihrem Streben nach Einheit
unterstützen. Wie erfolgreich sie dabei ist, wird
unterschiedlich beurteilt. Klar bekennen sich alle Kirchen – und vermehrt auch die
Freikirchen – zur Ökumene. Dies führt allerdings nicht dazu,
dass sie vermehrt Ressourcen in die AGCK.CH investierten.
Manchmal pumpt sogar das Testosteron. Aber wenn ich
mich auf einem Ferienbild in Badehose sehe, werde ich schlagartig asexuell. Es gibt
Männer, die auf mich erotisch wirken und Frauen, die das
gar nicht tun. Ich müsste kapitulieren, wenn ich von mir ein eindeutiges Mannsbild
zeichnen müsste.
Ich
vermute, ich bin irgendwie Mann. Und auf mehr Definition habe ich einfach keine Lust.
In der Tat:
Ökumene ist «ein grosses Verlustgeschäft», wie der Papst in seiner Besinnung während der
Gebetsfeier im ökumenischen Zentrum meinte. «Aber es handelt sich um einen dem
Evangelium gemässen Verlust entsprechend der von Jesus vorgezeichneten Spur.» Es ging
dem Papst um den Verlust von kirchlichkonfessionellem
Egoismus, von Gleichgültigkeit und Eigeninteressen. Feindseligkeiten und
jahrhundertealte Gegensätze zu überwinden, sei jedoch
schwierig.
Sein ökumenischer Realismus ging aber dann noch weiter, als Papst Franziskus auf die Versuchung hinwies, bei der Ökumene zwar mitzumachen, aber mit der versteckten Absicht,
Eigeninteressen durchzusetzen.
Der Besuch in Genf war ein Appell, es mit der Ökumene ernst zu nehmen und vom Heiligen Geist geleitet den Weg der Einheit und des Friedens zu gehen. Dafür nahm er die Strapazen einer
Tagesreise nach Genf in Kauf. Das Motto des Tages «Ökumenischer Pilgerweg: Gemeinsam unterwegs sein, beten und arbeiten» blieb somit nicht nur ein schönes Wort. Gelebte Einheit
durch Feiern, Beten und die gegenseitige Verpflichtung der Kirchen, für Versöhnung, Gerechtigkeit und Frieden einzustehen, wurden an diesem Tag sichtbar.
Spürbar wurde neben der Freude über die Begegnung von Vertreterinnen und Vertretern der Weltchristenheit allerdings auch der Schmerz über die Grenze dieser Einheit; spätestens für
diejenigen rund 150 nicht katholischen Kirchenvertreter, die nach dem mit grösster Sorgfalt und Sympathie vorbereiteten Besuch des Papstes beim ÖRK als Gäste an der grossen
Messfeier im Palexpo teilnahmen, getrennt vom Tisch des Herrn.
Martin Hirzel kath.ch
[ Martin Hirzel ist Mitglied des Präsidiums der AGCK.CH und Beauftragter für Ökumene und Religionsgemeinschaften beim «Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund» (SEK).]
Tatkräftig anpacken
Seit 2016 ist Anigna Waldegg im Pflegenden-Pool von Ärzte ohne Grenzen. Der zweite Einsatz führt die Pflegefachfrau in den Sudan.
«Ich konzentriere meine Energie auf das Mögliche», sagt Anigna Waldegg und strozt vor Tatkraft. Dass die 30-jährige, in Appenzell lebende Bündnerin «schlecht
im Akzeptieren der Ungerechtigkeiten dieser Welt» ist, glaubt man ihr sofort. Das Privileg, in der Schweiz einen Beruf erlernt zu haben, mit dem sie sich weltweit
für Benachteiligte einsetzen kann, hat sie als junge
Pflegefachfrau zu Médecins sans
Frontières/ Ärzte ohne Grenzen (MSF) geführt.
«Mich überzeugt ihre Ethik: Die
Menschen, die am stärksten und am
unmittelbarsten in Not sind, haben
stets Vorrang», erzählt sie wenige Tage vor ihrem
Abflug nach Darfur.
Was sie während der nächsten sechs Monate dort
erwartet, kann sie nur erahnen. «Ich
kenne bisher nur die Situation im Libanon. Doch
jedes Projekt und jeder Einsatz ist
anders – Erwartungen zu benennen, ist schwierig.»
Sicher ist: Zusammen mit weiteren 100
Mitarbeitenden von MSF – über 90 davon
Einheimische – soll sie in einem
Flüchtlingslager die Vertriebenen medizinisch
betreuen. Das Spital steht bereits, die
Ambulatorien sind im Camp verteilt, eine Station
für Wöchnerinnen wird aufgebaut. «Auf
welchem Niveau wir arbeiten können, kann ich
nicht einschätzen.» Wie die meisten
internationalen
Mitarbeitenden von MSF wird Anigna Waldegg vor
allem für den reibungslosen Ablauf des
Projekts zuständig sein, die pflegerischen
Tätigkeiten koordinieren und
überwachen, einheimische Fachkräfte schulen –
auch wenn sie eigentlich lieber mehr
am Patienten arbeiten würde.
Mit den einfachen Lebensbedingungen wird sie
umgehen können – auch der Dusche im
Freien, die sie mit den anderen internationalen Fachkräften teilen wird. «Die grösste Herausforderung werden die unterschiedlichen Vorstellungen von
Arbeitsmoral sein und meine Stellung als Frau in einem patriarchalen
Land.» Und sollte es zwischendurch schwierig werden, vertraut sie auf ihre Erfahrungen aus ihrem Einsatz im Libanon: «Im Freiwilligen-Team unterstützten wir
uns gegenseitig.» Was ihr zumindest moralisch auch immer hilft: Backen. Backpulver und Hefe werden im Gepäck nicht fehlen. Zusammen mit einem Kilogramm
Bündnerfleisch. Ein bisschen Heimat muss sein. ps