Essen, was ihr esst
Schwester Jermia Thoma hat offenbar einen starken Magen. Ihr «dialogisches Leben» mit den Menschen in Taiwan nährt sie aber noch auf andere Art.
1
Ordensleute & Abenteuer
Sr. Maria-
Amadea
Kloster
Heiligkreuz,
Cham
49,
Kirchenmusikerin (Orgel B) und Komponistin
Schwester Jermia macht sich auf den Weg in die Berge. Schwester Jermia macht sich auf den Weg in die Berge. Es muss um 1981 gewesen sein, in diesen ersten Jahren ihres Lebens in Taiwan. Mit
den Menschen in einem Dorf in den Bergen wird sie zu Abend essen. Es gibt Fisch. «Aber diesen Fisch», so fragt sie ihre Gastgeber, «den könnt ihr nicht gefischt haben?»
Chinesisch sprechen kann Schwester Jermia schon ziemlich gut und auch die Sprache der Bunun, eines Ureinwohnerstamms in den Bergen, beherrscht sie ein wenig. «Den Fisch haben wir extra für
dich gekauft», erhält sie zur Antwort. Sie darauf: «Das möchte ich nie wieder so haben.»
Von da an habe es sich wie ein Lauffeuer verbreitet, von Dorf zu Dorf: Da sei eine Schwester, die so leben möchte, wie die Einheimischen leben. «Ich möchte essen, was ihr esst», habe sie den
Menschen gesagt.
Seither hat Schwester Jermia Schlangenfleisch gegessen und fliegende Hunde, Affenfleisch und Wildschwein. Nur Feldmäuse, die hoffte sie nie essen zu müssen. Bis ihr dann doch jemand etwas
davon anbot. Ein gegrilltes Hinterbein. «Es war unglaublich, klein und fein wie Schinken», sagt sie und lacht herzlich.
41 ihrer 74 Jahre lebt Jermia Thoma nun bereits in Taiwan.
«Dialogisch leben», nennt sie ihre Art, sich auf die
Menschen, ihre Kultur und Mentalität einzulassen. «Dazu
gehört, dass ich mich selbst zurücknehme. Ich höre
zuerst zu, schaue hin und achte, wie die Menschen
denken», sagt sie.
Deshalb verwendet sie das Wort «Mission» nicht mehr
gerne. «Ich muss nicht meinen, ich als alte Katholikin
müsse denen
etwas bringen.»
Taiwan ist ein Land mit einer grossen religiösen
Vielfalt. Neben
einer Mehrheit an
Buddhisten leben Taoisten neben Mormonen,
Muslimen und
Gläubigen der
Volksreligion. Nur etwa ein Prozent der Bevölkerung
sind
Christinnen und Christen, diese sind aufgeteilt in
über
60
protestantische Kirchen und die katholische Kirche.
Die
Toleranz
der Regierung ermögliche ein friedliches
Zusammenleben, auch die Arbeit von Menschen wie
Schwester Jermia werde wahrgenommen und
geschätzt. «Wir haben freie Hand. Taiwan ist nicht China»,
sagt Jermia.
Auch in Taiwan sind es Kindergärten und Spitäler, die
christliche Wurzeln haben. Jüngst würden vermehrt
Einrichtungen für betagte Menschen gebaut, da die
traditionellen Strukturen der Grossfamilie nicht mehr
überall funktionierten.
Jermia Thoma ist überzeugt, dass das christliche
Menschenbild andere inspiriere. In ihrer Diözese
habe eine buddhistische Nonne ein Spital samt Universität
aufgebaut. «Das habe ich alles bei euch
katholischen Priestern und Schwestern abgeschaut», habe
diese Nonne zu Schwester Jermia gesagt. Jermia
dazu: «Ich finde es schön, wenn das Christliche
weitergeht, wenn auch anders.»
Dass das «Christliche an sich» weitergeht, ist der Ingenbohler Schwester in der Pfarreiarbeit ein Anliegen. Seit über 20 Jahren leitet sie die Gemeinde in Chulu, im Süd-Osten Taiwans. Davor war sie
15 Jahre Leiterin der Pfarrei in Chihshang.
Sonntagsgottesdienste mit Kommunionspendung und Predigt, Krankenbesuche, Bibelabende, ein wöchentliches Taizé-Gebet, die Ausbildung von Katechetinnen, all das gehört zu ihren Aufgaben.
«Natürlich bin ich sehr in Grenzen gehalten, weil ich eine Frau bin», sagt sie, atmet schwer aus und lacht vielsagend. Als sie weitererzählt, kehrt die Begeisterung zurück. Dass Menschen sich zum
Christentum bekehren, hat sie manche Male erlebt. «Ich habe gesehen, wie Leute, die nicht christlich sind, oft in Angst leben», sagt sie nachdenklich, «viele haben für jedes Anliegen einen speziellen
Gott. Der eine Gott könnte sie strafen, wenn sie das nicht tun, ein anderer Gott, wenn sie jenes nicht tun.»
Da erscheine die christliche Botschaft oftmals als Befreiung. Den Menschen von diesem befreienden Gott zu erzählen, darin sieht Schwester Jermia ihren Auftrag. Zwei bis drei Jahre gehe die
Einführung in den christlichen Glauben bis zu einer möglichen Tauffeier. Selbstverständlich lebt Jermia Thoma aber weiterhin mit vielen zusammen, die keine Christen sind oder werden wollen.
Jermia Thoma ist nur
vorübergehend auf Heimaturlaub in Ingenbohl. Die vitale Frau ist «dort
drüben» zu Hause angekommen,
wie sie sagt. «Ich habe eine grosse Familie», sagt sie ruhig und strahlt. In
der Zwischenzeit wüssten viele,
dass sie am liebsten Wildschweinfleisch esse. «Wenn sie es haben, dann
kochen sie es für mich.»
Drei Fragen an Sr. Jermia
Aufbruch: Wer waren Sie damals, als Sie aufgebrochen sind?
Schon bei meiner Erstkommunion sagte die Handarbeits-Schwester: Es
Schwester Jermia Thoma
1944: Geburt in Bütschwil
(SG)
1968: Profess im Kloster
Ingenbohl (SZ)
1968 – 1973: Lehrerin in
Rechthalten und Düdingen
(FR)
1973 – 1975: Aufbau der
Katechetischen
Arbeitsstelle Bern
1975 – 1977: Vorbereitung für
Missionseinsatz
1977: Ausreise nach Taiwan
1977 – 1979: Studium der
chinesischen Sprache in
Taipeh
1981 – 1996: Pfarreileiterin in
Chihshang-Taitung
Seit 1996: Pfarreileiterin in
Chulu-Taitung
könnte sein, dass Gott euch ruft. Nach der Erstkommunion hat sie uns
nochmals gefragt: Ja, wer möchte ins Kloster? Drei Mädchen haben
aufgestreckt, ich war eine davon. Meine Grossmutter glaubte nicht daran,
dass ich tatsächlich Ordensfrau werde, obwohl meine Familie katholisch ist.
Initiation: Wer ist aus Ihnen geworden, durch die Zeit in der Mission?
Ich wählte mir als Ordensnamen Jermia. Diesen Propheten habe ich gerne,weil er
sehr mutig war. In der Mission darf ich das ausführen, was ich eigentlich immer
wollte: Ich leite eine Pfarrei. Ich bin also Seelsorgerin und Pfarreileiterin geworden.
Rückkehr: Wer sind Sie heute, mit Ihren Erfahrungen im Gepäck?
Mit der Bibel gesprochen: Ich habe dort, wo ich in Taiwan lebe, viele Mütter und
viele Kinder. Das ist meine Familie. Vorläufig geht es mir gesundheitlich recht gut
und solange ich bleiben kann, bleibe ich. Die Leute haben schon gesagt, dass sie
mir Arbeit abnehmen, damit ich hier bleiben kann.
Serie «Ordensleute und Abenteuer»
Früher wie heute gibt es Menschen, die mit einem
Auftrag in unbekannte Länder gehen. Sie lassen
Vertrautes zurück, begegnen Fremdem und kehren
verändert zurück. Diese drei Schritte sind auch die
Struktur von Mythen und Heldinnenlegenden. In dieser
Serie porträtieren wir Frauen, die für einen Orden mit
einer Mission unterwegs sind, nach ihrem
Abenteuergeist.