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DENKANSTOSS
Bei einer Trennung werden Mütter zu Frauen und Männer zu Vätern!
Väter der 1950er- und 60er-Jahre waren oft jene fremden Männer, die man sonntags im Wohnzimmer antraf, rauchend hinter einer Zeitung sitzend. Väter, die man in Ruhe lassen
musste.
Heute trifft man sie nicht nur im Gebärsaal an, sondern bereits vorher im Geburtsvorbereitungskurs, dann aber auch im VaKi-Turnen, im GZ und an der Seitenlinie des
Fussballfeldes. Die Wickeltische stehen
mittlerweile nicht nur bei IKEA auf der
Männertoilette, sondern auch in der Migros.
Veränderungen zeigen sich aber nicht nur
im öffentlichen Raum, sondern auch im
familiären Innenraum. Obwohl die meisten
Familien aus bekannten Gründen weit weg
von einer
50–50-Aufteilung sein können und die
Mütter trotz Erwerbsarbeit meist das
Drehzentrum der familiären Beziehungen
sind, haben die Väter auch in den
Beziehungsalltag stärker Einzug gehalten
und prägen die emotionale Realität der
Kinder mit.
Der engagierte, sogennant «moderne Vater»
macht das nicht, weil ihn seine Frau dazu
zwingt. Die meisten Väter erleben dadurch
sehr viel Sinnhaftigkeit und eine tiefe
Erfüllung. Die meisten würden diesen Anteil
sogar erhöhen, kämen sie dabei nicht mit
anderen Werten – insbesondere «sei
beruflich erfolgreich!» – in Konflikt.
Bricht eine Trennung über das Paar und die
Familie ein, zeigt sich in jüngster Zeit eine
interessante
Veränderung, die sowohl auf Seiten der
Väter als auch auf
Seiten der Frauen, welche ebensolche Väter
kennen
lernen, registriert wird: Die Väter staunen,
wie
schwierig es ist, dass sich eine Frau wirklich
auf sie
einlässt. Sie lernen zwar Frauen kennen,
gehen
auch Beziehungen ein, aber diese
Beziehungen kommen nicht über einen
bestimmten Punkt hinaus: Eine vertiefte
Bindung entsteht in der Regel selten.
Bei genauer Betrachtung bemerkt man, dass ein wesentlicher Hauptgrund darin liegt, dass sich das emotionale Zentrum dieser Männer – nun eben neu – um ihre Kinder gebildet
hat. Dabei geht es nicht in erster Linie um den zeitlichen Faktor, der sich hier verändert hat, sondern vielmehr, dass die emotionale Bezogenheit auf die Kinder viel intensiver
geworden ist.
Tritt eine Frau, die selber noch keine Kinder hat, in dieses Leben, erlebt sie oft das Gefühl, das fünfte Rad am Wagen zu sein. Es ist, als ob sie in ein Haus einziehen würde, in dem
alle Zimmer schon besetzt sind. Das ist für viele Frauen schwierig, weshalb diese sich meist wieder trennen.
Tritt eine Frau mit eigenen Kindern ins Leben eines solchen Vaters, besteht zumindest eine Symmetrie der Situation. Doch die oftmals nicht synchronen
Zeitfenster sowie der zeitliche und emotionale «Gesamtverbrauch» für die jeweilige Teilfamilie sind meist so hoch, dass sich das Paar nur selten zu zweit sieht. Und ohne Zweisamkeit
und Zeit ist ein Aufbau einer Paarbeziehung natürlich erschwert. Deshalb sind Patchwork-Familien ohne gemeinsames Kind oftmals labile Konstrukte.
Je stärker also nach einer Trennung die Beziehung zu den Kindern als emotionales Zentrum erlebt und gelebt wird, desto weniger besteht auch der Bedarf, rund um eine neue
Liebesbeziehung ein neues emotionales Zentrum zu schaffen.
Es sind nicht nur zeitlich-organisatorische, sondern vielmehr auch emotionalmotivationale Aspekte, die sich hier auf Seiten der Männer verändert haben. Dies führt bei vielen zu
wechselnden, vorübergehenden Beziehungen oder zu einem Verzicht darauf.
Diese Situation verändert sich meist dann (erst), wenn die Kinder in die Pubertät kommen, sobald diese also ihr eigenes emotionales Zentrum mehr nach aussen verlagern. Die
meisten Eltern werden hier wieder «beweglicher» aber eben auch «bedürftiger», und prompt ermöglichen sich dann vertieftere Bindungen zu Partnerinnen und Partnern.
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Stolpersteine Frömmigkeit
Wenn heute jemand als «fromm» bezeichnet wird, dann ist das nicht unbedingt ein Kompliment. Manchmal wird einem frommen Menschen auch Scheinheiligkeit,
Bigotterie oder Frömmelei unterstellt. «Frömmigkeit» hat heute oftmals den Beigeschmack von Unehrlichkeit und Heuchelei. Dabei hat der Begriff von seiner ursprünglichen
Bedeutung her mit all diesen Zuschreibungen eigentlich gar nichts
gemein.
Von seiner althochdeutschen Wurzel «frum» her ist mit
«Frömmigkeit» Tüchtigkeit, Tapferkeit und
Nützlichkeit gemeint. Ein «frommer Knecht», der war gut,
rechtschaffen und ehrlich. «Fromme Hände»
zeichneten eine Person aus, die fleissig und emsig ist. Das deutsche
Wort «fromm» bezog sich damit nicht nur auf den
religiösen Bereich, sondern auf das ganze Alltagsleben.
Mit dem Beginn der Neuzeit erlebte der Begriff jedoch einen
Bedeutungswandel, «fromm» und «Frömmigkeit»
erhielten eine spezifisch religiöse Note. Ein frommer Mensch ist
jetzt jemand, der gottesfürchtig ist und ein
gottgefälliges Leben führt.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist der Begriff «Frömmigkeit»
dann weithin ganz eingeengt auf das religiöse
Gefühlsleben und wird ausschliesslich als innere Haltung des
Einzelnen verstanden, die im äusseren Verhalten ihren
Ausdruck finden soll.
Damit öffnete sich aber auch das Tor für mögliche Missdeutungen:
Ist das gezeigte Verhalten nur äusseres Zeremoniell
oder etwa Ausdruck weltflüchtiger Abkapselung? Solche
Missdeutungen überschatteten dann im 20.
Jahrhundert den Begriff.
Dabei meint der Begriff «Frömmigkeit» eigentlich ganz allgemein
Ehrfurcht vor dem Göttlichen, ein Ausgerichtetsein auf
Gott, eine Bereitschaft, Gott in seinem Leben einen Platz zu geben.
Mitte des 20. Jahrhunderts kam aus dem Französischen der
Begriff «Spiritualität » auf, der die Rede von «fromm»
und «Frömmigkeit» fast ganz ersetzt hat. Anders als
«Frömmigkeit» wird «Spiritualität» positiv konnotiert,
obwohl beide Begriffe eigentlich annähernd identisch sind.
Die Theologie versucht heute, die Weite des Begriffs «Frömmigkeit» wiederzugewinnen. Man versteht «Frömmigkeit » als «Gestaltwerdung des Glaubens im Alltag». Damit ist
eingefangen, dass der Glaube des Einzelnen sowie der Gemeinschaft eine Verwirklichung im täglichen Leben finden will, weil Glaube Antwort ist auf das Heil Gottes, das sich nicht
nur in längst vergangener Geschichte ereignet hat, sondern sich im Hier und Jetzt fortsetzt und auf eine gelingende Zukunft ausgerichtet ist.
Birgit Jeggle
Professorin für Liturgiewissenschaft in Chur & Luzern