Advent ist die Zeit der
Lichter – in seiner
tieferen Bedeutung
aber ist Advent die Zeit
der Krise, die uns
innerlich aufreisst für
den, der kommen
möchte.
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«Sehnsucht nach Neuem»
Mein liebstes Advent-Kinderbilderbuch erzählt von
einem alten Hirten, der sehnsüchtig darauf wartet, dass
der Verheissene, der Erlöser, kommt.
Mein liebstes Advent-Kinderbilderbuch erzählt von einem alten
Hirten, der sehnsüchtig darauf wartet, dass der Verheissene, der Erlöser,
kommt.
Für dieses
beharrliche Warten wird er von den andern ausgelacht. Sein kleiner Enkel
glaubt ihm
zwar,
stellt sich den Erwarteten aber als grossen König, mit Schwert und
Edelsteinen
über
den Himmel auf einem Pferd heranbrausend vor – und der Alte getraut sich
nicht, die
Zweifel, die er in seinem Herzen trägt, vor dem Kleinen zu äussern. Kommt
Er denn wirklich? Und kommt Er so, wie wir uns das vorstellen?
Judäa war römisch besetztes Gebiet, als Maria mit Jesus schwanger
war. Die Menschen litten unter ihren Besetzern. Sie warteten auf den
Messias, der das weltliche jüdische Reich wiederherstellen und die
Römer vertreiben sollte.
Advent ist die Zeit der Kerzen, es duftet nach Orangen mit Nelken
gespickt, nach frisch gebackenen Grittibänzen und Weihnachtsguetzli –
sicher. In seiner tieferen Bedeutung ist Advent jedoch die Zeit der Krise,
die uns innerlich aufreisst für das, was kommen kann, wenn wir uns zu öffnen
getrauen.
Die Krise um uns herum müssen wir nicht suchen – weder in der
Kirche noch in der Welt. Und vielleicht auch nicht in uns selbst.
Davonlaufen, das Alte verbissen verteidigen oder in Angst erstarren
ist nicht nötig. Wir müssen die Dunkelheit, die Kälte, den Zweifel
wahrnehmen und zulassen. Das schafft in uns und unter uns den
Raum für die Geburt dessen, der ganz anders als erwartet, weder mit Feuer
und Schwert noch mit grossem Mediengetöse daherkommt. Es ist die Kraft der Ohnmacht und der Liebe, die ganz Neues schafft.
Sr. Maria-Amadea
Kloster Heiligkreuz, Cham
49, Kirchenmusikerin (Orgel B)
und Komponistin
Schlusstakt
Ehrlichkeit, Differenzierung und Verständnis für andere Meinungen gelten in der Politwerbung als verpönt. Wer die Stilfrage stellt,
outet sich als Schwächling.
Vor jeder Volksabstimmung könnte man den Baron-Münchhausen-Preis gleich mehrfach vergeben. Und zwar – ganz schweizerisch harmoniesüchtig – nach
einer einfachen Zauberformel: Der Preis ginge jedes Mal ex aequo an jedes Komitee, das Kampagnenwerbung betrieben hat. Denn ob die Plakate,
Zeitungsannoncen und Internetbanner nun für ein JA oder ein NEIN werben, im extensiven Gebrauch schamloser Lügen und Übertreibungen herrscht
einträchtiges Kopf-an-Kopf-Rennen.
Abstimmungskampagnen sind nicht ein Kampf der Argumente, sondern eine wilde Schlacht der Desinformation. Es muss halt alles auf einen Button
passen. Soll knackig und träf sein. Uns emotional mitten in die Magengrube treffen und den Kopf nicht einmal ansatzweise streifen. Jedes Like
heiligt das Fake.
Einig sind sich Kombattanten auch darin, dass es gar nichts bringt, auf die eigenen Argumente zu vertrauen. Was soll man uns Idioten auch
mühselig komplizierte Sachverhalte erklären, wenn doch die Schauermärchen viel munterer und eingängiger daherkommen. Differenzierung ist der Tod
jeder Quote. Und Selbstkritik ist Selbstmord. Anstatt mit uns zu diskutieren, wird uns deshalb mit dem Inferno gedroht: Wenn ihr nicht unsere
Parole einlegt, dann geht die Welt subito unter, und ihr seid schuld!
Ich hätte nichts gegen ein Verbot von Politwerbung. Oder zumindest Auflagen wie bei der Zigarettenwerbung. Auf jedem Plakat, egal welcher
Politmarke, müssten dann Warnhinweise stehen. Ein paar Vorschläge: «Dieses Plakat macht Sie zum Idioten» oder «Lügen zerstört Vertrauen» oder
«Politwerbung verstopft ihre Denkleistung».
Man könnte auch ein Gesetz für Politwerbung erlassen. In diesem müsste dann beispielsweise stehen: Politwerbung darf nicht täuschen und nicht
gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstossen. Vergleiche dürfen nicht unrichtig oder irreführend sein. Und sie dürfen die Konkurrenz
nicht unnötig herabsetzen.
Aber Halt, dieses Gesetz gibt es bereits seit 32 Jahren. Es heisst «Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb».
Text: Thomas Binotto
Besuch des Dalai Lama
Das Grossmünster glich an diesem Oktobermorgen
einem Bienenhaus. 1000 Personen hatten sich
im Kirchenraum eingefunden, und weitere 2000
warteten trotz regnerischem Wetter draussen
auf dem Platz, um der Live-Übertragung des
interreligiösen Friedensgebets mit dem Dalai
Lama beizuwohnen. Viele Besucher waren in
farbenfrohe tibetische Trachten gekleidet und
hatten bereits seit früher Stunde geduldig auf ihr
religiöses Oberhaupt gewartet.
Ich selbst hatte seit Wochen kaum geschlafen, da
alle Fäden des organisatorischen Netzes bei
mir zusammengelaufen waren und mich rund um die
Uhr in Atem gehalten hatten. Tausend Dinge
waren zu bedenken gewesen, tausend Abklärungen
wollten getroffen werden, mit der Polizei, mit
Politikern, mit der tibetischen Exilgemeinschaft. Ich
war unendlich erschöpft.
Dann traf er ein, seine Heiligkeit der Dalai Lama.
Seine Fröhlichkeit erfüllte das Grossmünster,
und meine Erschöpfung wich tiefer Freude. Ich stand
versteckt hinter zwei Fotografen, aber er kam
auf mich zu, lächelte mich an und drückte mir die
Hand. Ich fühlte mich reich beschenkt.
Text: Mirjam Läubli