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Die Hoffnung beginnt dort, wo die Situation hoffnungslos ist.
Dieser Satz kommt mir in letzter Zeit immer wieder in den Sinn. Angesichts der Kriege, aber auch angesichts der Situation in der Kirche. Es
ist manchmal schwer, den Hoffnungsschimmer am Horizont wahrzunehmen.
Vielleicht muss ich aber gar nicht am Horizont suchen. Denn Hoffnung kann auch entstehen, wenn ich einfach etwas tue – auch ohne den
Weg, das Ziel oder die Lösung zu kennen. Wir erleben es mit unserer kleinen Familien-Hilfsaktion für die Ukraine. Wer Hilfsgüter bringt
oder Geld für den ransport
« Essay Vertiefung braucht Wiederholung.»
spendet, wer mitverfolgt, wie die Hilfe bei den Menschen im Kriegsgebiet ankommt und welche Freundschaftsbande so entstehen, wer einfach mit lebt und mitbetet – alle erleben
dabei einen kleinen, aber ansteckenden Funken Freude und Hoffnung.
Advent heißt «Ankunft». In der Adventszeit erwarten Christinnen und Christen Weihnachten, das Fest der Geburt von Jesus. Nicht nur als historische Erinnerung, sondern als
Anruf:
Gott möchte kommen. Nicht nur vor 2000 Jahren im Neugeborenen in der Krippe, sondern jeden Tag, in jedem Menschen, der mir begegnet, in jeder Situation, die sich mir zeigt, und
in mir selbst, in meinem inneren, unversehrten Sein.
Im Advent leuchten überall Kerzen und Lichter. Sie laden ein, den Blick von außen nach innen zu kehren. Advent heißt auch: das innere Licht in mir und in anderen entdecken und
Raum schaffen, damit es leuchten kann. Für den einen Schritt, der für die Hoffnung genügt.
Die Kraft der Wiederholung
Sie hat einen miesen Ruf. Mit ihr verknüpfen wir Wörter wie Fliessband, Drill, Fantasielosigkeit, Kommerz und Langeweile. Wiederholung geht aber auch anders…
Kinder erleben wir selten als langweilige Geschöpfe, obwohl sie bis zur Erschöpfung auf Wiederholungen stehen. Wer ihnen Bildergeschichten vorliest, weiß, wie das geht: Taucht
eine Lieblingsgeschichte auf, steht sie Abend für Abend auf dem Programm. Zwanzigmal! Dreißigmal!! Bis die Versuchung zu groß wird: Die Vorlesenden bringen eine kleine
Variante unter… und ernten pfeilschnell eine knackige Reaktion: «Das stimmt so nicht! Du musst es genau gleich erzählen wie immer!!»
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Dem französischen Philosophen Roland Barthes (1915–1980) ist die Obsession für Wiederholungen sowohl bei Kindern
wie bei alten Menschen aufgefallen. Auch sie lesen immer wieder die gleichen Bücher, rezitieren die gleichen Ge dichte
und singen die gleichen Lieder. Aus dieser Beobachtung hat Barthes eine überraschend andere Sicht auf die Wiederholung
entwickelt. In seinem Buch «S.Z.» verteidigt er vehement die wiederholte Lektüre, weil sie «den kommerziellen und
ideologischen Gewohnheiten unserer Gesellschaft zuwiderläuft, die es gerade nahelegt, die Geschichte ‹wegzuwerfen›,
sobald sie konsumiert (‹verschlungen›) worden ist.»
Barthes entdeckt in der Wiederholung einen Widerstand gegen einen Kapitalismus, der immerzu auf Konsumsteigerung
drückt. Er ist überzeugt, dass erst durch Wiederholung auch Differenzierung möglich wird. Provokativ behauptet er:
«Wer es vernachlässigt, wiederholt zu lesen, ergibt sich dem Zwang, überall die gleiche Geschichte zu lesen.»
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Erst wer einen Text mehrmals liest, entdeckt seine Nuancen. Diese Erfahrung bringt die Redensart «zwischen den Zeilen
lesen» zum Aus druck. Durch die Wiederholung beginnt sich der Text zu wandeln – weil sich unsere Wahrnehmung
verändert. Durch Wiederholung kann uns ein Text sogar wieder ganz fremd werden. Wer das nicht glauben mag, soll
einfach irgendein vertrautes Wort ruhig und gelassen an die fünf zig Mal wiederholen. So lange bis es sich wieder seltsam
und fremd anhört.
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Andy Warhol (1928–1987) hat sich die kindliche Obsession für Wiederholungen nie austreiben lassen. Und er hat sich
damit an Dingen ausgetobt, die als pure Konsumgüter ohne jeden Zauber gelten. Reihenweise produzierte er Sieb drucke
von Suppendosen und Cola-Flaschen. Solche Objekte konnte nicht einmal Roland Barthes etwas abgewinnen. Er nannte
sie des halb «unreligiös».
1962, kurz nach dem Tod von Marilyn Monroe, beginnt Warhol sein berühmtestes Wiederholungswerk. Er widmet der
Monroe eine ganze Reihe von Bildserien. Immer wieder verwendet er dafür dasselbe Foto. Verändert oder unverändert.
Einzeln im übermächtigen Goldrahmen. X-fach neben- und untereinander aufgereiht. In einem Dyptichon schier endlos
wiederholt. War hol erkennt Marilyn Monroes Aura und ihren Nimbus als Ikone. – Mit solchen Worten adeln wir Stars.
Und sind uns nicht bewusst, dass wir jene Sprache verwenden, mit der in der Kirche Heilige beschrieben und dargestellt
werden.
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Warhol hat über sich selbst und seine Kunst gesprochen, als wollte er Roland Barthes recht geben: «Wer alles über mich
wissen will, der muss nur die Oberfläche meiner Bilder, meiner Filme betrachten: Es gibt nichts dahinter.»
Am 1. April 1987 allerdings wurde das von Warhol so hingebungsvoll zelebrierte Selbstbild aufgebrochen. Über 2000
Menschen waren zu einem Gedenkgottesdienst für den wenige Wochen zuvor verstorbenen Künstler erschienen und
vernahmen Unerhörtes. In seiner Trauerrede enthüllte John Richardson, dass Warhol tief religiös gewesen sei. Die
Familie des 1928 in Pittsburgh als Andrew Warhola geborenen Künstlers stammte aus der heutigen Slowakei und gehörte
der byzantinisch-katholischen Kirche an. Warhol blieb dieser Tradition nicht nur treu, er pflegte sie durch tägliche
Wiederholung. «Man darf Andy nie auf den ersten Blick glauben», ermahnte Richardson, «der gefühllose Beobachter war
im Grunde ein aufzeichnender Engel.» Die Ikonenmalerei, die Heiligenbilder, die seit seiner Kindheit um ihn herum
gewesen waren, sie hatten ihn nachhaltig geprägt. Warhol war nicht nur der «Pope of Pop», er war auch der Ikonenmaler
der Moderne.
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Marco Odermatt zieht hunderttausendfach die gleichen Schwünge. – Meryl Streep übt ein Leben lang die alltägliche
Geste. – Yo-Yo Ma spielt seit fünfzig Jahren täglich aus den Solosuiten von Bach. – Benediktiner und Benediktinerinnen
beten seit Jahrhunderten jede Woche sämtliche Psalmen.
Sollte in ihnen die Langeweile hochsteigen, würde ihrem Können ganz schnell die Kraft ausgehen. Wer sich von der
Wiederholung nicht mehr herausfordern und inspirieren lässt, wer sich im ewig Gleichen nicht ständig erneuern kann,
dem droht die Entfremdung. Und diesen Moment kennen alle Meisterinnen und Meister der Wiederholung: Wenn das
Einfache nicht mehr leicht von der Hand geht und das Vertraute über Nacht fremd wird.
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Wiederholung…Wiederholung…Wiederholung…Wie?
Kinder verausgaben sich in Wiederholungen mit einer Vitalität, die Erwachsene atemlos zurücklässt. An ihnen wird sie
sichtbar, die urwüchsige Kraft der Wiederholung, die nichts anderes als Lernen ist. Die Sicherheit, die sie in der immer
gleichen Geschichte gewinnen, sie macht den Aufbruch zu immer neuen Erkenntnissen erst möglich.
Thomas Binotto
Ikonen arbeiten aus Prinzip mit
Wiederholungen. Es werden
Vorlagen nach strengen Regeln
kopiert. Die Individualität entfaltet
sich erst im wiederholten Blick der
sich vertiefenden Betrachtung.
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