Der Heilige Stuhl oder der Vatikan?
Am 2. November 1989 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen die «Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes».
Sie trat am 2. September 1990 in Kraft und verpflichtete die unterzeichnenden Staaten, einheitliche Standards zum Kinderschutz einzuhalten. Zügig
ratifizierte auch der «Heilige Stuhl» die Konvention. Doch wer hat da genau für wen unterschrieben?
Hat der «Heilige Stuhl» für den «Vatikan» unterzeichnet? In diesem Fall würde die Konvention für einen Staat gelten, der seit 1929 existiert. Mittels
Verträgen mit Italien, den Lateranverträgen, wurde damals mitten in Rom der «Staat der Vatikanstadt» geschaffen. Mit nur 0,44 km2 und unter 1000
Einwohnerinnen und Einwohnern ist der Vatikan der kleinste Staat der Welt. Die Staatsbürgerschaft erhält man nicht mit der Geburt, sondern auf Zeit:
Wer in Vatikanstadt wohnt, arbeitet in aller Regel für den Vatikan oder die Kirche. Wie jeder Staat hat auch Vatikanstadt eine Verfassung, ein
Rechtssystem, eine Nationalbank, eine Verwaltung, eine Polizei. Der Staat hätte sogar das Recht, eine Hochseeflotte unter eigener Flagge fahren zu
lassen. Organisiert ist er als absolute Wahlmonarchie: Kardinäle wählen einen Papst, der dem Kleinstaat auf Lebenszeit vorsteht. Im Vatikan gibt es
nur wenige Kinder, denn die meisten Einwohner sind entweder ehelos lebende Männer und Frauen oder Schweizergardisten. International vertreten wird der
Vatikan durch den Heiligen Stuhl.
Deswegen wird häufig auch vom Vatikan gesprochen, wenn eigentlich der Heilige Stuhl gemeint ist und umgekehrt. Anders als Vatikanstadt ist aber der
Heilige Stuhl kein Staat. Er ist ein eigenes, nichtstaatliches Völkerrechtssubjekt. Als Völkerrechtssubjekt vertritt der Heilige Stuhl den Staat
Vatikan und die römischkatholische Kirche. Damit vertritt er über 1,3 Milliarden Personen weltweit – Tendenz steigend. Er vertritt damit auch die
weltweit größte Betreiberin von sozialkaritativen Einrichtungen. Die katholische Kirche betreibt weltweit Kinderheime, Schulen, Spitäler, Altersheime.
Hat der Heilige Stuhl die Kinderrechtskonvention nun für all diese Einrichtungen unterzeichnet und muss deswegen ihre Umsetzung weltweit vorantreiben?
Ursprünglich hat der Heilige Stuhl genau dies gemacht: Er hat die Kinderrechtskonvention als Repräsentant die ser Riesenorganisation ratifiziert.
Mittlerweile stellt er sich aber auf den Standpunkt, dass er sie nur für den Staat Vatikanstadt unterzeichnet habe und deswegen nur in diesem
Kleinstaat für die Umsetzung zuständig sei.
Severin Schnurrenberger Forschungsmitarbeiter an der Professur für Kirchenrecht und Staatskirchenrecht an der Universität Luzern