Ein Schlüssel zur Veränderung
Vor 500 Jahren hat die letzte Äbtissin des Fraumünsterklosters, Katharina von Zimmern,
die Schlüssel an die Stadt Zürich übergeben. Dafür wird sie in den nächsten Monaten in Zürich gefeiert. Was bewegte sie zu ihrer Tat? Was wissen wir
überhaupt über sie? Ein sorgfältiger Blick in die Geschichte.
Vielleicht handelte sie aus Überzeugung, vielleicht aus Pragmatismus. Über die Motive der Äbtissin Katharina von Zimmern, das Fraumünster mit all seinem Vermögen
und den Besitztümern der Stadt Zürich zu übergeben, lässt sich nur spekulieren.
Auf jeden Fall vermied sie mit dem Schritt eine Kraftprobe mit dem Rat der Stadt Zürich, der die Reformation in geordnete Bahnen lenken wollte. Anders als in
Ittingen, wo im Juni das Kloster von wütenden Bauern in Brand gesetzt wurde und dennoch katholisch blieb, wurde am 8. Dezember 1525 die Herrschaft der Äbtissin
und Reichsfürstin Katharina von Zimmern über die Stadt Zürich ohne Revolte mit einer friedlich ausgehandelten Schlüsselübergabe beendet.
Zweifellos stand Katharina von Zimmern unter großen Druck. Seit knapp zwei Jahren lebte sie als letzte adlige Chorfrau in der Abtei. Die Reformatoren mit ihrer
beißenden Klosterkritik hatten die Kanzeln in den Kirchen der Stadt längst übernommen. Auch die Äbtissin selbst bot ihnen immer wieder in ihrem Fraumünster eine
Bühne.
1519 war Huldrych Zwingli von Einsiedeln nach Zürich gekommen. Er übersetzte und diskutierte zusammen mit seinen Mitstreitern die biblischen Texte öffentlich. Und
er warf religiöse Vorschriften, für die er in der Bibel keine Begründung fand, über Bord. Der Toggenburger legte sich mit dem Papst in Rom an, indem er an den
Grundpfeilern der Kirchenlehre rüttelte.
Das große Streitgespräch
Was in Zürich und weit darüber hinaus tobte, war viel mehr als ein theologischer Streit. Es ging ums Ganze. Seit Zwingli davon predigte, dass alle Gläubigen
gleichberechtigt seien und keine Kirche brauchten, die ihnen den Weg zu Gott weise, und eine Gruppe um den Buchdrucker Christoph Froschauer in der Fastenzeit
öffentlichkeitswirksam ein Wurstessen inszeniert hatte, stapelten sich auf den Tischen der Ratsherren die Beschwerden. Ein öffentliches Streitgespräch sollte den
Kampf um die Deutungshoheit entscheiden. Am 29. Januar 1523 drängten sich 600 Personen im Zürcher Rathaus, darunter 200 Räte, welche die Stadt regierten. Unter
dem Vorsitz des Bürgermeisters Markus Röist sollte Zwingli seine Thesen gegen seine Kritiker verteidigen. Allerdings hatte die von Vikar Johannes Faber geleitete
Delegation, die der Bischof von Konstanz nach Zürich geschickt hatte, den Auftrag, sich nicht in theologische Diskussionen verwickeln zu lassen, sondern lediglich gegen
die Veranstaltung zu protestieren.
Zwar erklärte der Rat Zwingli zum Sieger und verbot unter Strafandrohung, ihn als Ketzer zu bezeichnen. Doch die Auseinandersetzungen zwischen Altgläubigen und
Reformierten wurden weiterhin erbittert geführt. Und immer wieder musste der Rat befürchten, dass die Reformation in eine Revolution kippen würde.
Das theologisch begründete Bilderverbot und die Kritik an
der Heiligenverehrung der Reformatoren
mündete in der Wut über den Luxus in den Kirchen und
einen falschen Kult. Davon blieb auch das
Fraumünster nicht verschont. Katharina von Zimmern
musste die Lampen vor dem Predigtstuhl
ersetzen lassen, weil Randalierer in die Kirche
eingedrungen waren und die kostbaren
Stücke unter die Kanzel geschmissen hatten.
Zwar stellte der Rat den unkoordinierten Bildersturm
genauso unter Strafe wie die Verweigerung
des Zehnten. Doch der Hass vieler Menschen auf die
Klöster, die sie mitverantwortlich machten
für das eigene Elend, war offensichtlich.
Gefängnis und Schutzraum
Für Zwingli waren die Klöster Gewissensgefängnisse,
deren Bestehen «keine Grundlage haben im
göttlichen Wort». Er kritisierte insbesondere die
Vermischung kirchlicher und politischer
Interessen.
Um seinen Einfluss abzusichern, erlaube der Papst den
Fürsten, ihre Söhne als Äbte oder Bischöfe
zu installieren und so die «großen sicheren Geldquellen»
abzugreifen. Die eigentliche Aufgabe der
Orden, «dass man lerne, mit dem göttlichen Wort
umzugehen, um die Welt recht lehren zu
können», gerate durch die politischen Deals in
Vergessenheit. Deshalb komme es zum
Sittenzerfall: «Im einen Kloster fraßen sie, im anderen
hurten sie ohne Scham.»
Auch Katharina von Zimmern wurde 1478 in eine
Adelsfamilie hineingeboren. Allerdings
verlor ihr Vater Güter, Herrschaft und Ehre, als sie zehn
Jahre alt war. Von Messkirch in
Süddeutschland kam Katharina als Flüchtlingskind nach
Weesen am Walensee. Der Vater konnte sie
zusammen mit ihrer Schwester im Fraumünster
unterbringen, das adligen Chorfrauen
vorbehalten war. 1496 wurde Katharina zur Äbtissin
gewählt.
Das Kloster war für Frauen immer auch ein Schutzraum.
Sie mussten nicht heiraten und hatten
Zugang zur Bildung. Allerdings blieben sie vor Übergriffen
nicht verschont. 1497 etwa drangen zwei
Männer ins Kloster Selnau ein und misshandelten die
Äbtissin derart, dass sie ihren
Verletzungen erlag.
Ein goldener Fallschirm
Katharina von Zimmern befasste sich intensiv mit dem Humanismus. Sie ließ die Abtei ausbauen, als Unternehmerin siegelte sie die Geschäfte der Abtei. Das
Fraumünster war auch ein Wirtschaftsunternehmen. Das Kloster verfügte über Höfe in rund 30 Dörfern, hinzu kamen Häuser in der Stadt und Mühlen an der Limmat und
an der Sihl.
Nach der Übergabe an den Rat musste Zürich zuerst eine eigene Verwaltung aufbauen. Deshalb wurde vorerst nur ein neues Fraumünsteramt geschaffen, außer der
Verpackung änderte sich nichts, die Geschäfte liefen weiter wie zuvor.
Die Güter des Klosters wurden zu einer wichtigen Geldquelle des Staates. Der Rat deckte damit Sozialausgaben und finanzierte das Schulwesen, die Einnahmen flossen
aber auch in Herrschaftsrechte und Kriegsanleihen. Die Stadt konnte frei über das Vermögen verfügen. Katharina von Zimmern hatte die Übergabe an keine
Bedingungen geknüpft, sie selbst erhielt einen goldenen Fallschirm. Der Rat gestand ihr freie Verfügungsgewalt über ihr Vermögen zu und zahlte ihr eine lebenslange
Pension aus. Heinrich Bullinger schrieb rund 50 Jahre nach der Übergabe, die Äbtissin habe das Fraumünster mit der Auflage der Stadt übergeben, dass die
Finanzquellen zur Linderung der Armut verwendet werden sollen. Doch dafür liefert die Übergabeurkunde keinerlei Hinweise. Vielmehr verzichtet Katharina darin auf
jede reformatorische Klosterkritik.
Stattdessen inszenierte sie sich darin als handelnde Person, die ihre Abtei aus freien Stücken verlässt. Wie groß ihr Handlungsspielraum angesichts der aufgeheizten
Stimmung tatsächlich war, darf bezweifelt werden. Sicher ist jedoch, dass die geordnete Übergabe der Abtei an die Stadt ein Blutvergießen verhinderte.
Dass Zwinglis Nachfolger Bullinger behauptete, Katharina habe ihr Stift für einen guten Zweck der Stadt übergeben, zeigt, dass die Äbtissin früh zur Projektionsfläche
wurde. Auch Zwingli selbst hatte ihr eine Schrift gewidmet und sie «zur Partei Christi» gezählt.
Projektion und Spekulation
Wo sich Katharina von Zimmern in einer Zeit, in der die theologischen Debatten unversöhnlich geführt wurden und die Religion das soziale Leben bestimmte,
tatsächlich positioniert, ist schwierig zu sagen. Schriftliches ist von ihr nicht überliefert. Vieles deutet darauf hin, dass sie bereits während ihrer Zeit im Kloster eine
Tochter zur Welt brachte, die Geburt aber geheim halten konnte.
Nach dem Ende des Klosters heiratete Katharina den Söldnerführer Eberhard von Reischach, der im Oktober 1531 in der Schlacht von Kappel fiel. Im Gegensatz zu
Mönchen, die ein Handwerk erlernen oder eine Pfarrstelle antreten konnten, blieb den Frauen nur die Heirat oder die Rückkehr zur Familie.
Gerade weil Katharina von Zimmern oft als Projektionsfläche diente und vereinnahmt wurde, lohnt sich die Auseinandersetzung mit ihr als eine schillernde Figur 500
Jahre nach der Übergabe des Fraumünsters. Sie war eine gebildete Humanistin und versierte Bauherrin, eine geschickte Verhandlerin in eigener Sache und weitsichtige
Diplomatin, die dem Frieden diente und einen Söldnerführer heiratete. Möglicherweise kommt ihr und ohnehin der Geschichte am nächsten, wer all die Widersprüche
und Leerstellen aushält.
Felix Reich, dieser Beitrag erscheint im Forum und in der Zeitschrift reformiert