Er verteidigt die Demokratie als Bürger und als Christ
Rechtsextremisten bedrohen die Demokratie in Deutschland. Dagegen gehen vermehrt Bürgerinnen und Bürger auf die Straße. Unter ihnen auch
Johannes zu Eltz, Stadtdekan in Frankfurt am Main. Eine profilierte Stimme zur Lage in Deutschland und in der Kirche.
Johannes zu Eltz (*1957) ist promovierter Jurist und Kirchenjurist. Seit 2010 ist er Dompfarrer und Stadtdekan in Frankfurt am Main, das Teil des
Bistums Limburg ist.
In Deutschland gehen viele für die Demokratie auf die Strasse. Was passiert da gesellschaftlich? Johannes zu Eltz: Der grosse Bevölkerungsanteil, den
man schweigende Mehrheit nannte, lässt sich langsam dazu bewegen, aus der Haltung des Abwartens herauszukommen und sich öffentlich dafür zu
interessieren, was aus der deutschen Gesellschaft und dem Staat wird.
Was bewegt die Menschen?
Den Ausschlag hat wohl die Vorstellung
gegeben, man könnte – mit schönen Worten
bemäntelt – einen erheblichen Teil der
Bevölkerung aus Deutschland vertreiben, ja
deportieren.
Können Proteste den Rechtsruck stoppen?
Proteste können einiges, unter bestimmten
Voraussetzungen. Wichtig ist, dass die Basis
nicht zu klein ist. Sie muss unbedingt vom links
liberalen Spektrum hinüberreichen ins weit
konservative, unpolitische
«Normalbürgertum». Sonst wird das nichts mit
dem Protest.
An der Demonstration in Frankfurt am 4.
Februar, an der rund 20 000 Menschen waren,
haben Sie für das Römerbergbündnis
gesprochen. Wie sehen
Sie Ihre Rolle im demokratischen Prozess?
In den letzten Jahren veranschlage ich die
Bedeutung des kirchlichen Einsatzes für die
säkulare Demokratie viel höher. Ich halte es für
nötig, dass wir uns positionieren, auch auf
Kosten einer allseitigen Ausgewogenheit. Wir
müssen merken, dass die Lebensbedingungen
auch von Kirche mit einer freiheitlichen Demokratie steigen und fallen.
Sie haben von einer roten Linie des Dialogs gesprochen: «Die rote Linie ist abstrakte, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und die Entschlossenheit
zum Staatsstreich». Was muss passieren, wenn Menschen auf diese rote Linie zumarschieren?
Wenn sie auf diese zumarschieren oder sich hindrängen lassen, oder wenn diese rote Linie ihnen gleichsam entgegenkommt durch die unauffällige
Verschiebung der Grenzen politischen Anstands – dann kann man in einer Demokratie eigentlich nicht viel mehr machen, als aufzuklären, bewusst zu
machen, zu appellieren, zu bitten. Die Demokratie lässt sich nur mit den ihr gemäßen Mitteln verteidigen, und da ist das Wichtigste und Vornehmste die
Aufklärung. Da möchte ich mich zumindest klar einbringen.
Heißt das auch etwas für Ihre Predigt?
Ja. Ich möchte zwar nicht die Predigt für eine politische Aufklärungskampagne nutzbar machen, das fände ich missbräuchlich. Ich versuche schon, das
Evangelium auszulegen, wie es sich darbietet.
Aber: Ich muss nie lange suchen in den heiligen Texten, um auf die Spuren einer Menschenrechtsorientierung, einer universalistischen Denkweise,
eines humanistischen Grundverständnisses zu kommen – das sind zwar alles nicht die Worte der Bibel, aber es ist die Sache der Bibel.
Die Deutsche Bischofskonferenz hat erklärt: «Rechtsextreme Parteien und solche, die am Rande dieser Ideologie wuchern, können für Christinnen und
Christen kein Ort ihrer politischen Betätigung sein und sind auch nicht wählbar.» Ist diese Distanzierung klar genug?
Ich bin ein bisschen zusammengezuckt bei der Erklärung der Nicht Wählbarkeit der AfD, weil bischöfliche Wahlvorgaben bei uns in Deutschland eine
lange Geschichte haben und wir das eigentlich hinter uns haben. Ich finde, die Bischöfe müssen völkischen Nationalismus als Sünde markieren, auch
öffentlich. Aber die Schlussfolgerungen aus solchen grundsätzlichen Positionen würde ich mir gerne selbst vorbehalten.
Allerdings nehme ich wahr, dass viele aus meinem kirchlichen Umfeld dankbar sind für die Entschiedenheit der Bischöfe, auch für die
Unwählbarkeitsformulierung.
«Ich muss nie lange in den heiligen Texten suchen, um auf die Spuren einer Menschenrechtsorientierung, einer universalistischen Denkweise, eines
humanistischen Grundverständnisses zu kommen.»
Johannes zu Eltz
Was sagen Sie gegenüber der AfD?
Ich glaube, dass das Völkische eine Vielheit
von Überzeugungen zusammenfasst, die das
Zeug haben, Religion zu ersetzen. Die
Vergötzung der Nation ist ein Bruch des ersten
Gebotes und ist eine schwere Sünde, die sich
nicht entschuldigen lässt. Sie bringt das Leben
des Menschen und seiner Gesellschaft zum
Schlechten hin.
Die deutschen Bischöfe haben sich in ihrer
Erklärung zur demokratischen Grundordnung
im Staat bekannt. Wie glaubwürdig ist das,
wenn die eigene Institution nicht demokratisch
organisiert ist?
Es war früher glaubwürdiger als jetzt. Die
Spannung wurde immer mitgedacht und
ertragen, dass der Mensch zugleich Katholik
ist in der hierarchisch verfassten Kirche und
Demokrat im Staat des Grundgesetzes.
Heute ist das Misstrauen grösser, ob man
sich von jenen, die eine derartige kirchliche
Verfassung aufrechterhalten und von ihr als
Elite profitieren, etwas sagen lassen muss über
gesellschaftliche Zustände.
Ich sehe in der Notwendigkeit, dass Christen
die Ordnung des Grundgesetzes verteidigen,
einen weiteren Impuls dafür, dass es nötig
ist, unsere kirchliche Verfassung in ein gesundes
Spannungsverhältnis zur gesellschaftlichen
Ordnung zu bringen.
Wie könnte das gehen?
Der wichtigste Impuls kam nach dem zweiten
Vatikanischen Konzil unter dem Stichwort
«lexecclesiae fundamentalis».
Dieses hätte für eine Herrschaft des Rechts
gesorgt, nicht in der Glaubensgemeinschaft mit
ihrem nicht verhandelbaren
Offenbarungsglauben, wohl aber in der
gesellschaftlichen Organisation, die die
Kirche ja immer auch ist. Sie hätte die Inhaber
von machtvollen Ämtern grundsätzlich
rechenschaftspflichtig gemacht. Leider ist dieser
Impuls gescheitert, vor allem an Papst
Johannes Paul II.
Das Römerbergbündnis
1978 gegründet mit dem Ziel, Widerstand zu leisten gegen Versuche von Rechtsextremen, in Frankfurt am Main Fuß zu fassen. Der Name geht auf die
Absicht zurück, den Römerberg, den Sitz des Stadtparlaments, frei von Druck von rechts zu halten. Im Bündnis vertreten sind die Jüdische Gemeinde,
die Evangelische Kirche, die Katholische Kirche durch Johannes zu Eltz, der Deutsche Gewerkschaftsbund und der Frankfurter Jugendring. Das
Römerbergbündnis hat die Demonstration «Frankfurt steht auf für Demokratie» am 5. Februar 2024 mitorganisiert, zu der sich rund 20 000 Menschen
auf dem Römerberg versammelten.
Und nun?
Ein erreichbares Ziel wäre die Einrichtung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit, die das Verwaltungshandeln von Amtsträgern nachprüfbar und
korrigierbar macht. Erreichbar ist dieses Ziel durch die Selbstbindung von Bischöfen.
Also eine Verwaltungsgerichtsbarkeit innerhalb der Kirche?
Ja. Allerdings wäre sie den Bischöfen gegenüber unabhängig. Auch der Bischof und jene, die für ihn und an seiner Stelle handeln, wären dann der
Herrschaft des Rechts unterworfen, das sie ja selbst erlassen dürfen, an das sie sich dann aber auch halten müssten. Das ist, würde ich sagen, ein
entscheidender Unterschied zwischen einer totalitären und einer demokratischen Ordnung.
Der «Synodale Weg» in Deutschland war ein ambitioniertes Reformprojekt. Viele Menschen wollen weitergehen, einige Bischöfe auch, andere nicht. Der
Papst bremst. Und nun?
Ich glaube, eine vollständige Deckungsgleich heit zwischen römischen Vorgaben und dem Anspruch, auf dem synodalen Weg weiterzugehen, ist nicht
herstellbar und weiterhin müssen begrenzte Konflikte riskiert werden. Die Einheit der Kirche ist fundamental wichtig, aber: Sie ist durch die
Entwicklung der letzten Jahrzehnte schon weitgehend verloren gegangen. Wir haben faktisch schon zigtausende abgespalten, die nicht mehr mitgehen
möchten und können. Ein Grund dafür ist die unreformierte Verfassung der Kirche.
Zurück nach Frankfurt. Sie werden bald nicht mehr Stadtdekan sein. Im Bistum Limburg werden auf regionaler Ebene Doppelspitzen in der Leitung
eingeführt, die auch von Theologinnen und Theologen im pastoralen Dienst übernommen werden können. Sind solche kleinen Veränderungen nicht
eher Feigenblatt-Politik?
Alles, was wir jetzt machen, ist zu wenig und zu spät, wir brauchen gar nicht mehr anzufangen. Denn der Megatrend ist wirksam und baut sich nach dem
Schneeballprinzip auf – wir brauchen uns also um die Bedingungen unserer gesellschaftlichen Wirksamkeit gar nicht mehr zu kümmern, sie ist sowieso
verloren. Da sage ich: Nein, so bitte nicht. Das für richtig Erkannte muss auch dann umgesetzt werden, wenn die Bedingungen schlecht sind, dass es
noch irgend etwas austrägt. Rein schon aus Selbstachtung!
Das Gespräch führte Veronika Jehle
Die Kirche ist eine Gemeinschaft der Fremden
Als der Heilige Geist an Pfingsten die Apostelinnen und Apostel erfüllt,
predigen sie so, dass alle Zuhörerinnen und Zuhörer in den Worten ihre
je eigene Sprache erkennen. Untereinander verstehen sich die
Zeuginnen und Zeugen des Pfingstwunders nicht, aber alle verstehen
sie die Rede «von den großen Taten Gottes» (Apostelgeschichte 2,11),
das Evangelium.
Ein Merkmal biblischer Texte ist, dass sie immer in einer bestimmten
Situation rezipiert werden und in einem spezifischen Resonanzraum
ihre Wirkung entfalten, auf persönliche Erlebnisse und Stimmungen,
soziale Bedingungen treffen. Wie an Pfingsten versteht jede Person die
Verse zuerst in ihrer individuellen Sprache. Das ist zu weilen schwer
auszuhalten. Deshalb braucht es das Gespräch, manchmal den
theologischen Streit, immer das Ringen um eine über das individuelle
Empfinden hinausgehende Auslegung, die den leuchtenden Kern der
Botschaft des Evangeliums freilegt, die dem Leben und dem Frieden
dienen will. Hören einzelne Gruppen das Evangelium ausschliesslich in
der eigenen Sprache und werden taub für andere Interpretationen und
historische Zusammenhänge, können Kirchen auseinanderbrechen.
Verhärtet der Glaube, wird er zur Ideologie.
Die Pfingstgemeinde spaltet sich nicht. Sie bleibt beseelt und wächst.
Vielleicht auch deshalb, weil sie beim Hören nicht stehen bleibt. Die
ersten Christinnen und Christen halten nicht nur an der Lehre der
Apostelinnen und Apostel fest, sondern auch «an der Gemeinschaft, am
Brechen des Brotes und am Gebet» (Apostelgeschichte 2,42). Der
anglikanische Theologe Rowan Williams schreibt über das Abendmahl,
dass Jesus mit seiner eigenen Gastfreundschaft die Menschen zur
Gastfreundschaft er muntern wolle. Die zentrale Verwandlung, die sich
bei der Eucharistie voll ziehe, sei deshalb jene, «dass sie dich zwingt,
die Person neben dir als von Gott gewollt zu sehen». Kirche ist somit
nur als eine Gemeinschaft unter Fremden denkbar. Fremde, die durch
ihre Bedürftigkeit und ihre Leiblichkeit verbunden sind. Sie hungern
alle nach Nahrung und wollen gesehen werden. Die Tischgemeinschaft
steht für die Gemeinschaft der Bedürftigen, sie ist die Wurzel der
Diakonie.
Manchmal erhält ein biblischer Vers, der lange Jahre im Lebensrucksack mit getragen wurde und stumm blieb, in einer existenziellen Not plötzlich seinen Sinn. Er berührt, stärkt, tröstet. Dann ist
Pfingsten. Alle Interpretationen, die auf unterschiedlichen theologischen Richtungen und kirchlichen Traditionen, konfessionellen Prägungen und biografischen Erfahrungen gründen, bereichern sich,
solange in ihnen die befrei ende Geistkraft von Pfingsten spürbar bleibt. Das Abendmahl und das gemein sam gebetete Unservater, das über geografische, konfessionelle und zeitliche Grenzen
hinweg verbindet, bilden den Boden, auf dem Gemeinschaft erfahren werden und Vielfalt gedeihen kann.
Felix Reich Redaktionsleiter reformiert. Zürich