Wozu soll ich den Sonntag heiligen?
«Wann erholst du dich eigentlich?» – die se Frage scheint mein Gegenüber zu über raschen. Wir sind mitten in einer
Beratungssituation. Eine junge Frau möchte effizienter studieren. Wir zeichnen den Verlauf einer typischen Woche auf: wann arbeitet
sie, wann hat sie Unter richt, wann lernt sie…? Schnell zeigt sich: Ihre Woche ist derart durch getaktet, nur schon beim Zuhören
werde ich unruhig und leicht gestresst.
Das Thema Erholung ist ein Klassiker. In der Beratung
wie auch im privaten Umfeld begegnet es mir häufig. Es kommt mir vor, als
lebten wir in einer atemlosen Welt, die die
Sehnsucht weckt, einfach einmal aufatmen zu können. Ist die uralte
Weisung aus dem biblischen Dekalog etwa
aktueller denn je? Da steht geschrieben: «Sechs Tage sollt ihr
arbeiten, aber der siebte Tag ist ein ganz
besonderer Ruhetag, der Sabbat» (Buch Levitikus 23,3).
Hier geht es mir
nicht um
die theologisch spitzfindige Frage, ob die Gebote des ersten Testaments
Christinnen und
Christen überhaupt betreffen. Auch scheint mir nicht zentral, ob der
Ruhetag zwingend
gemeinschaftlich gefeiert
werden soll (obwohl
ich
persönlich
Ruhen in
Gemeinschaft
einfacher und
wirkungsvoller empfinde). Nein, ich frage ganz nach
studentischer
Manier: Was bringt’s mir? Wozu soll ich den Sabbat –
oder christlich
gesprochen den Sonntag – heiligen?
«Die Bedeutung des
Sabbats besteht für mich darin, Gastgeberin zu sein und
gemeinsam mit
anderen zu lernen», brachte es die Jüdin Johanna Kohn als
Gast bei uns im
Unterricht auf den Punkt. Der Sabbat als ein Tag der Mus se also.
Die menschlichen
Qualitäten können aufstrahlen. Es geht um das Wohl der Menschen, um ihre
Beziehung zu Gott
und zueinander. Diese Absicht der Gebote wird im zweiten Testament
verstärkt. Worte
und Taten von Jesus sprechen hier eine klare Sprache: «Der Sabbat wurde
für den Menschen
gemacht, nicht der Mensch für den Sabbat» (Markus-Evangeli um 2,27).
Laut den Erzählungen
wird auch mal geerntet, gepredigt oder geheilt am Ruhetag.
Die alte Weisung
kann heute noch ermuntern: Ich darf aufatmen, zur Ruhe kommen und einen guten Rhyth
mus im Alltag finden.
Damit ich gesund bleibe, damit wir als Gesellschaft über lebensfähig bleiben.
Ausbrennen ist nicht vorgesehen.
Das trifft ins Schwarze, auch für mich selbst. Wer kennt diese Herausforderung nicht: Wie gestalte ich mein Leben, damit es mir
langfristig gut geht? Wie halten sich Leistung und Erholung in Balance? Wie mein digitales und analoges Agieren? Wie unterbreche ich
regelmäßig den Alltag?
Entspannt liege ich draußen mit Blick in den Himmel. Das goldene Licht der Abendsonne umspielt die Blätter. Sanfter Wind streicht mir
über das Gesicht. Aus der Ferne höre ich Stimmen. Mein Atem wird langsamer. Ein tiefes Gefühl von Zufriedenheit steigt in mir hoch.
Mein persönlicher Sonntagsmoment am Ende des Tages. Ich genieße den schwerelosen Zustand. Die Frage nach dem Wozu ist weit weg, gar
lächerlich. Die Antwort ist da, ich lebe sie. Ganz einfach.
Die Kunst liegt wohl darin, sich in den vollgepackten Tagen oder Stunden an das süße Gefühl des Ausruhens zu erinnern. Um dann den
kurzen oder langen Sonntag zu heiligen – ganz Mensch sein zu können.
Mirjam Duff Theologin, Dozentin und Beraterin an der Fachhochschule Nordwestschweiz