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Selbsterkenntnis führt uns nicht nur zu uns selbst, sondern auch zu Gott.

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«Erkenne Dich selbst» stand über dem Eingang des Apollon-Tempels in Delphi. Schon Sokrates war überzeugt, dass Selbsterkenntnis eine Bedingung der Sittlichkeit ist. Diese besteht in einer doppelten Anerkenntnis: Ihre moralische Seite bedeutet, dass wir unsere Fehler und Sünden erkennen und eingestehen. Ihre theologische Seite besteht darin, dass wir unseren Status als Geschöpfe anerkennen: «Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin, und sein gnädiges Handeln an mir ist nicht ohne Wirkung geblieben. Mehr als sie alle habe ich mich abgemüht - nicht ich, sondern die Gnade Gottes zusammen mit mir.»(l Kor 15,10) Beides ist notwendig.
Aus Reue und Heiligem Geist ist die Kirche geboren worden, hat Papst Benedikt in den USA gesagt. Dafür ist die Selbsterkenntnis eine Voraussetzung. Sie führt uns an die Wurzeln der inneren Regungen, zum Beispiel des Zornes. Dabei zeigt sich, dass leider auch unsere guten Werke nie ganz frei sind von den «Beimischungen» des Egoismus wie Eitelkeit oder Selbstgerechtigkeit. Selbsterkenntnis bedeutet also, sich «realistisch» einzuschätzen. Wir sollen uns für das halten, was wir sind, nicht mehr und nicht weniger. Isaak der Syrer sagt, dass Selbsterkenntnis zu jener Wiedergeburt des Geistes führt, von der Jesus zu Nikodemus in jener denkwürdigen Nachtwache gesprochen hat. Wer den Hl. Geist bittet, in ihm zu wohnen, muss sein Herz reinigen. Wir Menschen haben als vernunftbegabte Wesen ein Gespür, das Gutes und Böses unterscheidet. Das Gebetvertieft und verfeinert dieses Gespür. Gleichzeitig wächst dabei unsere Sensibilität für Gott und für alles, was ihm gefällt oder missfällt. Die Wüstenväter benutzen in diesem Zusammenhang einen Vergleich: Das Gewissen eines Menschen, der oberflächlich und rein außenorientiert lebt, gleicht einem trüben Wasser. Auf seinem Grund wimmelt es von allerlei Gewürm. Der Ahnungslose merkt nichts davon. Das trübe Wasser verhindert die klare Sicht. So lebt mancher selbstgerecht und sorglos, hält sich für gut und verurteilt andere. Ganz anders steht es um das Gewissen eines «Erleuchteten». Es gleicht dem klaren Wasser. Alles steht wie in einem reinen Spiegel da, bis auf den Grund.
Selbsterkenntnis begleitet jedes wahre Gebet und bringt Hellsicht gegenüber eigenen Fehlern und Schwächen. Dabei schmerzen auch geringfügige Fehler, weil auch sie uns auf dem Weg zu Gott behindern oder irritieren. Die Reue darüber ist eine Voraussetzung ihrer Überwindung. «Das Opfer, das Gott gefällt, ist ein zerknirschter Geist, ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verschmähen.» (PS 51,19)
Die. Prüfung unserer Gedanken, Regungen und Absichten bleibt also eine tägliche Aufgabe für jeden von uns. Die Fastenzeit ist dafür wie geschaffen. Auch die geistliche Begleitung oder eine persönliche Beichte können helfen, uns selbst und die Liebe des Herrn wahrhaftiger zu sehen. Darüber hinaus vermittelt die Beichte einen Frieden, der nur aus der empfangenen Vergebung kommt. «Da ging er in sich», heißt es vom verlorenen Sohn im Lukas-Evangelium. Gerade dieses Gleichnis zeigt, dass Reue nichts zu tun hat mit krankhafter Selbstzerfleischung oder mit einer knechtischen Gesinnung gegenüber Gott. Im Gegenteil! Sie setzt ein absolut positives Gottesbild voraus: der barmherzige Vater, der seinem Sohn entgegeneilt und um den Hals fällt. Das Gleichnis zeigt, dass die wahre Reue alle vitalen Kräfte in uns wiederherstellt, die vom Hl. Geist selbst stammen, den wir den «Lebensspender» nennen. Von Ihm «revitalisiert», eilt der verlorene Sohn zurück ins Leben, ins Haus des Vaters, in seine Würde als Gotteskind.
+ WEIHBISCHOF HARIAN ELEGAN