Jahrhunderte lang auf Lateinisch, seit fünfzig Jahren vermehrt auch in deutscher Sprache
Für den Franziskaner Anton Rotzetter bewegt sich die Sprache des Gottesdienstes «an der Grenze zum Unsagbaren». Liturgie hat tatsächlich mit dem ganz Anderen, dem «Unsagbaren», zu tun. Sie verlangt nach nicht 'alltäglicher, symbolischer, verdichteter Sprache. Nach einer Sprache, die den existentiellen (Glaubens-)Erfahrungen des Menschen gerecht wird und transparent ist für die Tiefendimension des Lebens. Dichtung gehört also wesentlich zur Liturgie.
Allerdings besteht zwischen Liturgie und Poesie ein - im günstigen Fall fruchtbares - Spannungsverhältnis. Die Kirche erwartet von der Poesie wie von jeder anderen Kunstform, dass sie sich in den Dienst der Liturgie stellt. Das Kunstwerk soll nicht als Fremdkörper erscheinen, sondern selbst zum Gebet, zum Gottesdienst werden.
Die Christen der ersten Jahrhunderte sangen im Gottesdienst viele neu gedichtete Lieder. Der Brief an die Epheser ermunterte sie dazu: «Lasst in eurer Mitte Psalmen, Hymnen und Lieder erklingen, wie der Geist sie eingibt.» (Eph 5,19). Bereits ab dem 2. Jahrhundert wurde die Dichtkunst jedoch dazu missbraucht, Irrlehren über den Glauben zu verbreiten. Das Singen von neuen Liedern drohte die Kirche zu spalten. Man besann sich darum stärker auf die unverdächtigen Gesänge der Bibel. «Wenn du Hymnen begehrst, so hast du die Psalmen Davids», heißt es in einer Kirchenordnung aus dem 3. Jahrhundert. Das Konzil von Laodizea ging schließlich um 360 so weit, die Verwendung von nicht biblischen Texten im Gottesdienst zu verbieten. Glücklicherweise hat sich dieses Verbot nicht wirklich durch gesetzt, sonst müssten wir heute etwa auf die herausragenden Dichtungen eines Ambrosius von Mailand (339-397) verzichten.
Wie auch immer man den Umgang der Kirche mit der Dichtkunst im Einzelfall beurteilen mag, eines war für die Kirche stets klar: Damit eine dichterische Neuschöpfung als Gebets- und Glaubensgut der kirchlichen Gemeinschaft anerkannt werden kann, darf sie nicht allein die Frömmigkeit einzelner Personen oder einer bestimmten kirchlichen Gruppierung widerspiegeln.
Wenn heute über sprachlichen Wildwuchs in der Kirche geklagt wird, so muss man sich vor Augen halten: Liturgische Dichtung war bis zur Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils in erster Linie lateinische Dichtung, ein in sich geschlossenes, komplexes, ausgefeiltes, in gewissem Sinne auch steriles Sprachkunstwerk. Poetische Texte in deutscher Sprache finden sich bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil nur am Rande der Liturgie: Im Kirchenlied oder in Gebeten für Andachten,
Gedichte schaffen es vor allem dann. Gebet der Kirche zu werden, wenn sie auf dem Fundament der Bibel stehen, aus der Liturgie selbst herauswachsen und für die Liturgie bestimmt sind. Zu ihnen gehören Schöpfungen der im vergangenen Jahr verstorbenen Schriftstellerin und Ordensfrau Silja Walter. Vierzehn Hymnen aus ihrer Feder haben Eingang in das Stundenbuch gefunden, einige Texte wurden ins Kirchengesangbuch aufgenommen, weitere sind noch zu entdecken. Silja Walter schuf «eine neue Form von Hymne ohne Pathos».
Sperriger und weniger liturgisch geprägt sind die Texte des reformierten Berner Dichterpfarrers Kurt Marti. Der über den binnenkirchlichen Raum hinaus für seine unkonventionelle religiöse Sprache bekannt ist.
Im Gottesdienst begegnen wir den Dichtungen von Silja Walter und Kurt Marti hauptsächlich in vertonter Gestalt; ihre Qualität kann sich aber auch im gesprochenen Vortrag zeigen. Liturgische Dichtung besteht auf jeden Fall nicht allein als Text, sie ist mündliche, hörbare Poesie. Ob gesungen oder gesprochen, ob modern oder altbewährt, der Text soll je neu zum Ereignis werden. Liturgische Poesie öffnet für die Begegnung mit Gott; sie ist Ansage des Unsagbaren.
Josef-Anton Willa, Liturgisches Institut ; der deutschsprachigen Schweiz