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Furchtlos und flapsig im Feldlazarett
10 Jahre Papst Franziskus: Am 13. März trat der Jesuit Jorge Mario Bergoglio
das Amt an. Eine kritische Würdigung.
«Wir können wieder frei diskutieren», sagte ein Jesuit
und Philosophie-Professor wenige Monate, nachdem
Jorge Mario Bergoglio sein Amt als Papst Franziskus
angetreten hatte. Dabei ist es geblieben. Viele
Theologinnen und Theologen fühlen sich vom jetzigen
Papst in ihrer Arbeit ermutigt. Auch die Ernennung
von Joseph Bonnemain zum Bischof von Chur und der
Klimawandel im Bistum seither gehen mindestens
zum Teil auf Papst Franziskus zurück. Gleichzeitig
kann der Mann aus Buenos Aires manchmal
atemberaubend hart mit seinen konservativen
innerkirchlichen Gegnern sein: Vom Präfekten der
Glaubenskongregation Kardinal Gerhard Ludwig
Müller trennte er sich ohne Federlesen.
Mit Bergoglio sind die Vitalität und die Rauheiten
lateinamerikanischer Grossstädte an die Spitze der
Weltkir che gelangt. Sein erster Blick gilt nicht
Europa. Manchmal wirkt er wie eine furchtlose Figur
aus dem Film «Relatos salvajes». In diesem
argentinischen Kinoerfolg von 2014 wird gestochen
und vergolten, geweint und geliebt. So beherzt sich
Bergoglio in Buenos Aires der Drogenmafia
entgegenstellte, so angstfrei scheint Franziskus jetzt in
direkten Begegnungen und angesichts inner
kirchlicher und theologischer Minenfelder
voranzugehen. Allerdings ist die se Souveränität
offenbar nur zu haben mit seinen wiederholten
Flapsigkeiten; zum Beispiel über Schwiegermütter,
das Prügeln von Kindern oder dass Deutschland keine
zweite evangelische Kirche brauche. Und ohne Not
irritiert er regelmässig gerade jene sensiblen und klugen Frauen, die
unsere Kirche so sehr bräuchte.
Viele Indizien deuten darauf, dass Bergoglio im Laufe seines Lebens eine
tiefgreifende Wandlung durchgemacht hat. Die argentinischen Jesuiten
Orlando Yorio und Franz Jalics berichteten, Bergoglio habe sie in den 70er
Jahren des letzten Jahrhunderts der Militärjunta ausgeliefert. Bis heute
sind jene Vorkommnisse kaum aufgearbeitet. Als Papst Franziskus
gefragt wurde, wer er sei, antwortete er: ein Sünder, der von Jesus
angeschaut worden sei. Seine Worte deuten darauf, dass ihn seine
Vergangenheit bis heute prägt.
Mitunter schlägt der früher leidenschaftliche Fussballfan Bergoglio als
Papst spektakuläre, ja riskante Pässe. Er reist auf Inseln zu Geflüchteten
oder setzt im Schreiben «Amoris laetitia» eine gewichtige Fussnote. An
seinen Mitspielerinnen und Mitspielern – auch an uns – läge es, auf seine
Pässe und Intentionen kreativ einzugehen. Da wäre mehr möglich.
Wahrscheinlich wird er weiterhin Freiräume für Diskussionen zulassen,
ohne klar Position zu beziehen. Gemessen werden wird sein Pontifikat
auch daran, welche greifbaren Resultate der synodale Prozess ergeben
wird.
Bleiben werden seine sozialpolitischen und ökologischen
Akzentsetzungen. Vor allem seine Enzyklika «Lauda to si’» (2015) gilt als
ernst zu nehmender Aufruf zum weltweiten kirchlichen Um denken in
Umwelt- und Klimafragen. Bleiben wird, dass er Oscar Romero
heiliggesprochen, Maria Magdalena den Aposteln gleichgestellt und im
Kardinalskollegium mehr südliche Perspektiven eingebracht hat. Und
bleiben wird sein Bild, dass die Kirche ein «Feldlazarett» ist, das die
Wunden der Menschen verbindet – und in dem er selbst seinen Beitrag zu
leisten versucht.
Jorge Mario Bergoglio als Papst bei einer Audienz 2014 und als
Priesteranwärter in Buenos Aires 1966
Eine gute Frage
Werde ich im Jenseits meinen Feinden begegnen?
Seit es die Vorstellung eines Jenseits gibt, wird darüber spekuliert, wem wir dort wohl begegnen
werden.
Meine kindliche Vorstellung war schlicht und einfach: Die Guten kommen in den Himmel – die Bösen in
die Hölle. Und natürlich hatte ich eine ziemlich klare Vorstellung von Gut und Böse.
Zusammengefasst: Ich lande im Himmel und meine Feinde in der Hölle. Inzwischen fällt mir sogar die
Definition eines Feindes oder einer Feindin schwer. Ich glaube, echte Feindschaft ist noch
schwieriger aufzutreiben als echte Freundschaft. Mir macht niemand das Leben zur Hölle. Echten Hass
habe ich zum Glück noch nie erlebt.
Und doch ertappe ich mich immer wieder bei Vergeltungsphantasien, die ich mir als ausgleichende
Gerechtigkeit schönrede. Ich wünsche dann all jenen, die hier auf Erden das Leben schwer machen, im
Jenseits umso mehr Probleme. Kann doch nicht sein, dass selbst jene, die Menschen quälen und aus
beuten, ein sorgenfreies Jenseitsleben führen werden. Und all jene, die über Leichen gingen und gehen, die kann ich mir beim
besten Willen nicht im Himmel vorstellen.
Allerdings wird mir bei diesen Gedanken bewusst, dass ich mir das Jenseits mehr oder weniger als Weiterführung des Diesseits
vorstelle. Bestenfalls unter veränderten Vorzeichen. Und so begreife ich auch, wie es zur Installation eines Fegefeuers kam.
Dieses ist nichts anderes als die Verlängerung unseres irdischen Ringen um ein gutes Leben. Der Tod wird somit zum Tor ins
ewige Weiterkämpfen – keine tröstliche Vorstellung.
Wie es tatsächlich sein wird nach dem Tod, das weiß niemand, auch nicht jene Menschen, die eine Nahtoderfahrung gemacht haben.
Uns allen bleiben also nur menschliche Vorstellungen, Wünsche, Hoffnungen.
Ich hoffe auf ein Jenseits als Spiegel. Allerdings nicht einer, in dem die neue Sicht bloss eine Spiegelung ist. Ich stelle mir
ein Spiegel als Durchgang vor. Aller geht irgenwie zusammen mit mir durch den Spiegel und wird doch grundlegend verändert. Eine
radikale Verwandlung meiner Sicht auf alles scheinbar Vertraute. Damit ich endlich jene fundamentale Gutheit der Schöpfung
sehe, die ich bislang nur glauben und ahnen kann.
Wie werde ich nach diesem Durchgang mich selbst sehen? Ich, der mit sich selbst nie ganz zufrieden ist. Ich der sich in seinen
dunkelsten Stunden der ärgste Feind ist. Meine tiefste Hoffnung ist Versöhnung. Ich hoffe, daß alle menschlichen Kategorien,
auch Freundschaft und Feindschaft, in ganz neue Kategorien verwandelt werden.
Und wenn ich nun bereits in diesem Leben mit der Versöhnung anfangen würde? Dann kann ich nur gewinnen, selbst wenn sich
herausstellen sollte, daß es kein Jenseits gibt.