Weihnachtskrippen haben eine jahrhunderte lange Tradition und wollen viel mehr sein als bloss Weihnachtsdeko.
in schlichter Satz im Lukasevangelium markiert den Beginn: «Und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für
sie war.»
Daraus wurden im Laufe der Jahrhunderte vielfältig bevölkerte Krippenlandschaften. So dekorativ, dass manchmal vergessen ging, dass es sich hier eigentlich um Andachtsbilder handelte, die zur
Vertiefung in das weihnachtliche Geheimnis und zum Gebet einladen sollten.
Tradition von 1700 Jahren
Gemeinhin wird Franz von Assisi als Erfinder der Weihnachtskrippe genannt. Tatsächlich hat die erste Krippenfeier, wie er sie 1223 in Greccio veranstalten liess, enorm zur Verbreitung des Brauches
beigetragen. Aber bereits 900 Jahre zuvor, nämlich bereits 334, liess Kaiserin Helena in Bethlehem über der Geburtshöhle eine Krippe aufbauen.
Ab dem 15. Jahrhundert gab es in ganz Italien immer mehr
permanent in Kirchen aufgestellte Krippen. Und im 16. und
17. Jahrhundert wurden sie auch ausserhalb Italiens populär.
Was heute als harmloses Kindervergnügen erscheint, war
im Zuge der Aufklärung heftig umstritten. Um 1800 wurden in
mehreren europäischen Staaten Krippenverbote erlassen.
Das führte allerdings erst recht zu deren Popularisierung, weil
sie nun vom öffentlichen in den privaten Raum
abwanderten. Es entstanden Familienkrippen aus preiswerterem
Material, beispielsweise aus Ton oder Papier. Und sie
begründeten eine Tradition, die auch nach 1825 weiterging, als
alle Verbote wieder aufgehoben worden waren.
Die fantasievoll ausgestalteten Krippenlandschaften wurden zur
Bühne für ein immer figurenreicheres Rollenspiel und
gehörten damit zu den Vorläufern von Spielzeugeisenbahn, Lego-
und Playmobil-Welten. Bis die Krippe – nicht nur, aber
auch – zur Schaufensterdekoration wurde, also zum
Rahmenprogramm, das unsere Kauflust anregen soll.
Vielleicht hat Papst Franziskus deshalb am 1. Dezember 2019
bei einem Besuch in Greccio in einem Schreiben daran
erinnert: «Natürlich bleiben die Evangelien immer die Quelle, die
uns ermöglicht, mit diesem Ereignis vertraut zu werden
und es zu betrachten. Und doch sind die Krippendarstellungen
eine Hilfe, sich die Szenen vorzustellen; sie wecken
unsere Zuneigung und laden uns ein, uns in die Heilsgeschichte
einbezogen zu fühlen und dieses Ereignis mitzuerleben, das
in den verschiedensten historischen und kulturellen Kontexten
lebendig und aktuell ist.»
Jede Figur ein Symbol
Zur Weihnachtskrippe als Andachtsbild gehören viel mehr Figuren und Elemente, als sie im Lukasevangelium enthalten sind.
Bereits auf einer der frühesten Weihnachtsdarstellungen werden beispielsweise zwei Tiere prominent in Szene gesetzt, die in den Evangelien nicht auftauchen. Auf dem Sarkophag von Adelphia und
Valerius (Syrakus, ca. 340 – 345) stehen Ochs und Esel an der Krippe.
Mit ihnen wird ein Grundprinzip der Weihnachtskrippe zum Ausdruck gebracht: Kontinuität und Wandel.
Der Ochse steht für Reinheit und Opfer und damit auch für das Judentum. Er erinnert an das Zitat aus dem ersten Kapitel im Buch Jesaia: «Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe
seines Herrn.»
Obwohl an dieser Stelle in einem Atemzug auch der Esel genannt wird, steht er dennoch in Kontrast zum Ochsen, denn der Esel ist in der jüdischen Tradition ein unreines Tier. Im Gegensatz zum
Ochsen taucht er in den Evangelien gleich mehrmals auf: Die hochschwangere Maria reitet auf dem Esel nach Bethlehem und flieht auf ihm zusammen mit dem Säugling und Josef nach Ägypten. Und gut
dreissig Jahre später wird Jesus auf einem Esel in Jerusalem einziehen. Der Esel zeigt an, dass in der Kontinuität ein Neuaufbruch geschieht. Er steht auch für das Heidentum, das keine jüdische
Tradition kennt.
In dieser Spannung zwischen Tradition und Erneuerung bewegen sich auch die Sterndeuter und die Hirten.
Die Sterndeuter stehen für die Tradition, für das Erkennen der neuen Zeichen aus dem Wissen um die alten. Sie können die Sterne deuten, weil sie die Quellen kennen.
Die Hirten dagegen stehen für das Neue. Sie sind Symbole für eine Hierarchie, die auf den Kopf gestellt wird, für eine neue Ordnung. Und sie sind bezeichnenderweise noch vor den Sterndeutern an
der Krippe.
Aus den Sterndeutern wurden im Laufe der Jahrhunderte die Heiligen Drei Könige, die erst im 9. Jahrhundert ihre Namen erhielten und fortan die drei bekannten Erdteile vertraten: Melchior, der alte
Europäer mit weissem Haar. Seine Gabe ist das Gold, das Reichtum und Macht symbolisiert. Er reitet auf einem Pferd. Balthasar, ein Orientale mittleren Alters, bringt Weihrauch mit, Zeichen für das
Gebet und den göttlichen Atem. Sein Tier ist das Kamel. Und schliesslich der jüngste, Caspar, der dunkelhäutige Äthiopier. Er ehrt das Kind mit Myrrhe, dem Symbol für Unsterblichkeit, das mit
seiner Bitterkeit aber auch ein Vorzeichen auf das Leiden ist. Sein Tier ist der Elefant.
Weniger bekannt und auch weniger alt ist der Brauch, in der Spiegelung zu den drei Königen auch drei Hirten mit Namen herauszuheben. Sie stehen genau wie die drei Könige für Lebensabschnitte:
Cyriakus, der alte Mann, der demütig vor der Krippe kniet. Achad, der mittelalte Hirte mit dem Lamm auf der Schulter. Und schliesslich Misael, der gelockte Jüngling.
Selbst Maria und Josef passen sich in diese Symbolsprache ein. Josef vermacht Jesus seinen Stammbaum, der ihn bis zu König David zurückführt. Mit seiner Verwurzelung in der Tradition ist er aber
zugleich auch Beschützer des Neuen. Dass auch er, der Alte, dieses Neue in die Welt hinausträgt, zeigt die Lampe in seiner Hand. Sie steht für Jesus, das Licht der Welt.
Die jugendliche Jungfrau Maria wiederum verkörpert das unerhört Neue, noch nie Dagewesene, einmalig Herausragende. Ihr werden jeweils drei Farben zugeordnet: Ein weisser Schleier, der für
Unschuld und Jungfräulichkeit steht. Das blaue Gewand zeigt ihre Treue an, aber auch eine Weltumspannung, die Himmel und Meere umfasst. Und das Rot symbolisiert ihre Liebe zum Kind. Weiss,
blau, rot – neu, umfassend, kraftvoll.
Entsprechend dieser Symbolik wird die klassische Weihnachtskrippe dann auch aufgestellt: Zur Rechten des Christkinds kommt die Epistelseite – man kann sie auch die Seite des Alten Testaments
nennen: Hier stehen Josef, der Ochse und die Heiligen Drei Könige. Zur linken Seite die Evangelistenseite – die Seite des Neuen Testaments: Hier versammeln sich Maria, der Esel und die Hirten.
In der Mitte - im unbestrittenen Zentrum der Krippe – steht der Futtertrog, in dem das Christkind liegt. Es ist gekommen, nicht um das Alte und das Neue zu trennen, sondern um es in sich zu
vereinen. Um Tradition und Moderne zusammenzuführen. Um die gesamte Schöpfung zu versöhnen.
Auch dieser Futtertrog steht selbstverständlich für mehr, als es zunächst den Anschein macht. Der Kirchenvater Augustinus schrieb dazu: «Er lag in einer Krippe und wurde zu unserer Speise.» Im Heu
liegt also jener, den der Evangelist Johannes als das Brot beschreibt, «das vom Himmel herabgekommen ist».
Die Weihnachtskrippe soll also alt und neu vereinen, Ost und West zusammenführen, oben und unten versöhnen. Für diese frohe Botschaft steht auch der Engel, der zu jeder Weihnachtskrippe gehört.
Er erinnert an den Verkündigungsengel im Lukasevangelium, der den Hirten erscheint und ihnen zujubelt: «Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens.»
Und über allem strahlt der Weihnachtsstern, ein Wegweiser, der uns erleuchten soll, die Zeichen der Zeit richtig zu deuten.
Das Spiel geht weiter
Neben diesen Elementen tauchen viele weitere Tiere auf – auch sie mit
symbolischer Bedeutung: das geduldige
Schaf, die genügsame Ziege, der wachsame Hund, der prophetische Hahn.
Und ab dem 19. Jahrhundert entwickelt sich eine bis heute andauernde Tradition
von Weihnachtsgeschichten, die den
Bibeltext weiter ausschmücken. Sie verwenden die Krippenlandschaft als Bühne
für immer neue Spielszenen und gehen
damit letztlich zurück auf die erste szenische Darstellung in Greccio.
In diesen Weihnachtsgeschichten tauchen ganz neue Figuren auf. Einmal wird ein
Narr zur Krippe geführt. Dann taucht eine
Katze im Stroh auf. Und selbst ein Floh kommt – bei Karl Heinrich Waggerl – zu
seinem grossen Auftritt.
In seinem Schreiben zur Weihnachtskrippe begrüsst Papst Franziskus gerade
diese Ausschmückungen ausdrücklich und
betont die verbindende und versöhnende Kraft der Krippe: «Oft lieben es die
Kinder, aber auch die Erwachsenen, der
Krippe weitere Figuren hinzuzufügen, die scheinbar nichts mit den Berichten des
Evangeliums zu tun haben. Doch solcher
Einfallsreichtum will zum Ausdruck bringen, dass in dieser von Jesus erneuerten
Welt Platz ist für alles Menschliche und
für jedes Geschöpf.»
Auch in der Malerei wurde die Krippe immer wieder neu inszeniert. Die
Erweiterung der Krippenlandschaft diente
jeweils auch hier dazu, das weihnachtliche Geschehen in den Kontext der
jeweiligen Gegenwart zu stellen. Eines der
herausragenden Werke in dieser Tradition stammt von Pieter Bruegel d. und hängt in der Sammlung Oskar Reinhart «Am Römerholz» [Winterthur Schweiz]. Das Museum rückt «Die Anbetung der Heiligen
Drei Könige im Schnee» (1563 entstanden) ins Zentrum einer Sonderausstellung mit reichhaltigem Begleitprogramm, die noch bis am 1. März 2020 zu sehen ist.
IMPULS ZUM KIRCHENJAHR : Fähig zum Frieden
Wer sich zur Krippe aufmacht, glaubt da-ran, dass
der Mensch auch anders könnte: dass er fähig
zu Liebe und Friede wäre. Wer sich zur
Krippe aufmacht, glaubt an die Macht des
göttlichen Friedens. Wer sich zur Krippe aufmacht,
glaubt, im kleinen Kind der Grösse und Macht
Gottes zu begegnen.Wenn heute Menschen wegen Krie-
gen und Terroranschlägen sagen: Wie kann man
noch Weihnachten feiern, müssen wir antworten:
Erst recht müs-sen wir jetzt Weihnachten
feiern. All diese Menschen in den Krisengebieten
brauchen die Krippe: die Zuversicht, dass
Gott auch heute in den Dreck des Lebens kommt, uns
auch dort nahe ist.Menschen machten sich schon
im-mer in dunkler Nacht zur Krippe auf, nicht
bei Sonnenschein. So war die Si-tuation schon
vor der Geburt Christi. Wir lesen davon im
Buch Jesaja, auch darin wird diese
Sehnsucht nach dem Frieden Gottes aus einer
Kriegsszene heraus beschrieben: «Jeder Stiefel,
der dröhnend daherstampft, jeder Mantel, der mit
Blut befleckt ist, wird verbrannt, wird ein
Frass des Feuers.»Auch für das alte Volk Israel
spricht die Lesung in eine dunkle Nacht hinein:
«Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles
Licht; über denen, die im Land der Finsternis
wohnen, strahlt ein Licht auf.» Weihnachten, die
Krippe, ist ein Licht, ein Licht, das
in der Nacht auf-strahlt. Und so feiern wird
heute noch Weihnachten in der Nacht, denn Chris-
tus wurde geboren, als andere die Angst der Nacht
erlebten: «In jener Gegendlagerten Hirten
auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer
Herde. Da trat der Engel des Herrn zu ihnen, und
der Glanz des Herrn umstrahlte sie. Sie fürchteten sich sehr.» Da hinein sagt der Engel: «Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine grosse Freude,
die dem ganzen Volk zuteilwerden soll: Heu-te ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr.»Weihnachten muss heute erst recht
gefeiert werden. Wir rufen uns dabei gegenseitig zu: Fürchtet euch nicht, Christus, der Retter, ist da. Der Friede muss zuerst einmal unser
eigenes Herz erfassen. Je mehr Menschen vom gött-lichen Frieden berührt werden, desto mehr können ganze Gemeinschaften und Gesellschaften Lieder der
Hoff-nung singen.Grosse Parolen und Statements nach Terroranschlägen nützen nur be-dingt etwas. Wir aber können uns die Krippen-Geschichte voll von
Hoffnung weitererzählen, dass Gott unter schwie-rigen Umständen auf die Welt gekom-men ist, um uns den Weg zum Frieden zu zeigen. Wir müssen unsere Sehn-sucht
nach Leben nicht zuschütten las-sen durch Worte von Unfriede und Hass, sondern dürfen den Frieden der Krippe erahnen. Gut, haben wir unsere Krippe.
Abt Urban FedererDer 1968 geborene und in Zürich aufgewachsene Urban Federer ist seit 2013 Vorsteher der Benediktiner-abtei Einsiedeln. Im Paulusverlag ist von ihm eine Samm-lung mit Meditationen zum Kirchenjahr unter dem Titel «Quellen der
Gottesfreundschaft» erschienen
Bibel ,,Alte Testament" ,,Neue Testament"
Gott und die Welt